Medusen
Die Künstlerin nützt Nylonfäden als Linien im Raum. Diese Linien können in einer dynamisch-gebündelten Pose des Hängens zum Symbol für belebte Natur werden; sie können aber auch die erstarrte Aktion des pfeilartig in den Raum Schießens verkörpern – oder sich im Geflecht zu einer Fläche zusammenfügen. Jede Fläche wiederum schafft Raum, sobald sie in einer Wölbung die Ebene verlässt. So entwickelt sich zwischen Linie, Fläche, Raum eine wechselseitige Beziehung, deren „naturwissenschaftlich“ definierte Räumlichkeit durch Licht und Schatten, Hell und Dunkel zum atmosphärisch wahrnehmbaren Umraum gesteigert wird. Gerade die Leerstellen des Flechtwerks ermöglichen dabei dem Betrachter ein ganz intensives Erlebnis des Davor und Dahinter. Form ohne Kompaktheit, Plastizität ohne Statik zeichnen die skulpturalen Qualitäten der Medusen-Installationen aus. Aber Marianne Stüves „Medusen“ sind nicht nur Formgebilde. Sie tragen auch Leben in sich. Assoziativ eröffnen sie uns andere Lebensräume: nicht nur die Welt des Wassers (die uns Landwesen – trotz aller Faszination – immer fremd bleibt); sondern auch die Welt der Fantasie (die das materielle zum Immateriellen transzendiert). Entstanden ist die Werkgruppe der Medusen durch die Auseinandersetzung mit den „agua vivas“ der brasilianischen Künstlerin Coca Rodriguez, mit der Marianne Stüve seit langem in einem intensiven künstlerischen Dialog steht. „Lebende Wasser“ sind für den Brasilianer diejenigen Lebewesen, die wir – weit geringschätziger – gewöhnlich Quallen nennen. Welche ganz andere Dimension der Wahrnehmung eröffnet sich aus der unterschiedlichen Benennung! Positive Impulse treten an die Stelle negativer Prägungen – und beide Dimensionen durchdringen sich schließlich im dritten Begriff: Medusen. Sie verbinden die Empfindung des Ekels mit der Wahrnehmung von Schönheit. |
Auffallend ist, dass Coca Rodriguez’ gallertartig wirkende, auf Sockeln lagernde skulpturale Objekte dabei eine ganz anders geartete ästhetische Ausstrahlung gewinnen, als die schwebenden Flechtobjekte von Marianne Stüve. Letztere variierte außerdem in ihren beiden Fassungen der Installation „Tanz der Medusen“ die Gesamtaussage. Im Kellergewölbe des Kunsthauses Nürnberg wurde die Installation von Projektionen „durchkreuzt“: aus dem Internet gewonnene Abbildungen von schwimmenden Quallen sowie schriftliche Informationen zum Stichwort „Medusen“. Im Kontext der Gruppenausstellung „ArtWeb2000“ wurde so verdeutlicht, wie heute das Internet (einschließlich der e-mail-Kommunikation mit Coca Rodriguez) zum wichtigen „Steinbruch“ bei der Ausformung künstlerischer Ideen werden kann! Dem widersprach nicht, dass andererseits das wechselnde Licht der Projektionen der skulpturalen Installation immer neue Wirkungen entlockte und so den Betrachter in den Bann zog. Die Inszenierung im Dachstuhl der Galerie Barsikow bei Berlin betonte hingegen die geheimnisvolle Wirkung des Hell-Dunkels und die Gefahr, die Teil der Schönheit ist: in die Installation der schwebenden Medusen war eine Gruppe von Nylonfäden integriert, an denen agressiv rote Rasierklingen montiert waren: scharfe Klingen können Nylongeflechte zerschneiden! Die „Umarmung“ von Feuerquallen kann tödlich sein! Auszug aus Katalog 2001, Text von Günter Braunsberg MA |
© Modschiedler
Medusen-Installation, Kunsthaus Nürnberg
webart2000
webart2000
Gefährliche Schönheit, Medusen-Installation
Galerie Barsikow - Berlin 2001
Galerie Barsikow - Berlin 2001
Medusen-Installation, Altes Forsthaus
Treuchtlingen, 2014
Treuchtlingen, 2014